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Bildung macht Schule

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Wenn eine Pädagogin Role Model ist - Reisebericht zur geplanten Dokumentation

 

Die Schulleiterin Karma Choezom und ihr Mann Jampal Lama laden Mitglieder des Förderkreis Patenschulen e.V. zum Roadtrip ein. Per Jeep fahren sie gemeinsam mit der stellvertretenden Vereinsvorsitzenden Martina Roßi und Steffen Mende mehrere Tage von Kathmandu nach Jumla. In dem rund 900 Kilometer entfernten Ort besuchen die Reisenden das Tochterprojekt der Kailash Bodhi Secondary School; und sie treffen eine ehemalige Schülerin, die jetzt als Zahnärztin in Jumla arbeitet.

Kathmandu, Nepal. In der Kailash Bodhi Secondary School macht sich Ferienstimmung breit. Karma Choezom Lama sitzt in ihrem Büro. Die Schulleiterin gibt Zeugnisse aus, spricht mit Eltern, erledigt die letzten Handgriffe. Die meisten der rund 700 Schüler:innen sind bereits weg. Karma Choezom läuft durch den Schulhof, passiert das schmiedeeiserne Tor, eilt entlang der befahrenen Straßen von Bodnath, einem Stadtteil im Nordosten der nepalesischen Hauptstadt. Zwei Tage später sitzt sie im Jeep ihres Mannes Jampal Lama, zusammen mit Martina Roßi und Steffen Mende, einem befreundeten Paar aus Tübingen.

Noch vor Sonnenaufgang macht sich die Truppe auf einen langen Tripp in den Nordwesten des schmalen Landes. Knapp 900 Kilometer liegen vor den Reisenden. Vier Klimazonen. Dschungel. Reisfelder. Schmale Straßen. Viel Verkehr. In einer Vollmondnacht erreicht die Gruppe die erste Station, Lumbini im Süden Nepals. Feuchtheiße Luft treibt den Schweiß auf die Haut. Es gewittert. Egal. Die vier Menschen machen sich auf den Weg ins Buddhistische Heiligtum. Hier soll DER Buddha geboren sein, unter einem Rosenbaum in einer Vollmondnacht.

Karma Choezom besucht den Ort, spricht ein Gebet, tankt Kraft. Einen Tag später sitzen sie und ihre Gäste wieder im Jeep ihres Mannes. Die Fenster werden zum Kino. Szenerien erscheinen und verschwinden. Rauchende Schornsteine von Ziegelleien. Felder. Frauen, die schwere Lasten tragen. Wasserbüffel an einer Tränke. Auf einem kleinen Rastplatz, der erste Halt. Ein Händler bietet frisch gepressten Zuckerrohrsaft an. Weiter geht’s.

Irgendwann sitzen die befreundeten Menschen im Dschungel, starten den Gaskocher, trinken aufgebrühten Kaffee, essen Brot. Fahren weiter, bergauf gen Westen.

Die zweite Etappe: Surkhet. Berühmt für Kankrebihar, die buddhistische Klosterruine auf einem bewaldeten Hügel. Schnell die Treppen hoch, ein flüchtiger Blick in den rund 750 Jahre alten Tempel. Die Zeit drängt.

Jampal Lama peitscht den Jeep über den Karnali Highway. Nur der Name erinnert an eine Straße. Eigentlich ähnelt der Highway eher einem ausgetrockneten Flussbett. Geröll und Felsbrocken liegen auf dem schmalen Pfad, über den Busse, Motorräder, Autos rollen. Jampal Lama kennt den Weg. Als Kind ist er diese Strecken zu Fuß gelaufen.

Langsam schraubt sich die Truppe durch Zentral-Nepal, bis Manma, die letzte Station vor dem Ziel. Ein kleiner Ort auf einem Höhenrücken. Nächtliche Gewitter entladen sich über den Häusern am Hang. Aufbruch im Morgengrauen. Frühstück an der Tila. Ihre Quelle entspringt im Himalaja. Wie ein schmaler Teppichläufer liegt der Fluss neben der Geröllpiste.

Stunden um Stunden sitzen die Reisenden zusammen, sprechen über die Landschaft, über Alltägliches und Intimes. Machen Witze, lachen. Reden über Ängste und die Liebe. Kommen sich sehr nah. Anders als bisher. Plötzlich taucht am Wegesrand ein Meilenstein auf. Schwarze Lettern auf weißem Kalk: Jumla. 1 Km.

Wie ein Wellenmeer umwogen Berge den Talkessel, auf dem sich Jumla ausgebreitet hat, rund 2400 Meter über dem Meeresspiegel. Weithin sichtbar: die gelbe Fassade der Kailash Bodhi Secondary School Jumla. Schulleiter Tashi Lama öffnet das Tor. Maler streichen die Wände der Klassenzimmer. Kinder betteln am Zaun. Einen Steinwurf entfernt liegen ärmliche Hütten hinduistischer Bewohner:innen. Obgleich in Nepal verboten gibt es sie, die Kaste der Kami, Damai, Sarki, der sogenannten Unberührbaren. Tashis Frau Tenzin Samten Lama schüttelt den Kopf: „Ich verstehe das nicht. Alle Menschen sind gleich.“ Sie ist Lehrerin an der Schule. Wie ihre Schwester Karma Choezom hat sie eine Vision: Bildung für alle. Religion, Herkunft, Hautfarbe spiele für sie keine Rolle. Doch diese Vision hat seinen Preis. Es braucht Geld, um ein Projekt wie die Kailash Bodhi School zu stemmen. Geld, das unter anderem der Verein Patenschulen e.V. sammelt und spendet.

In Nepal existiert eine allgemeine Schulpflicht für alle Kinder von mindestens fünf Jahren. Doch oft sind die staatlichen Schulen schlecht ausgestattet, die Lehrer:innen unterbezahlt, die Qualität mäßig. Kinder aus den Bergdörfern sind Stunden unterwegs und treten den beschwerlichen Weg gar nicht erst an. Viele Mädchen werden vor ihrem 15. Lebensjahr verheiratet und Mütter, bevor sie je eine Schule betreten haben.

„Wir brauchen Bildung.“ Für Karma Choezom Lama wiegen diese drei Worte mehr als Gold. Wie kostbar dieser Worte sind, zeigt sich jetzt in Jumla. Am Krankenhaus wartet eine junge Frau auf die Schulleiterin und ihre Begleitung. Sie trägt einen Ärztinnenkittel, bestickt mit ihrem Namen: Dr. Tenzin Doma Tamang. Karma Choezom ist stolz auf sie. Einst war die 31Jährige ihre Schülerin. Arm und weiblich. Keine gute Vorrausetzung, um Zahnmedizinerin werden. Doch Doma findet sich mit dem Schicksal nicht ab. Sie hat einen unbändigen Hunger auf Bildung, absolviert in Indien das Studium der Zahnmedizin und kämpft jahrelang um eine Anstellung in der Region, aus der sie stammt, im Westen Nepals.

Stolz zeigt sie ihren Arbeitsplatz. Noch vor einigen Jahren gab es im Krankenhaus nur einen Arzt. Inzwischen praktizieren ausgebildete Mediziner:innen in verschiedenen Fachrichtungen. Eine der wenigen Frauen ist Doma. „Für mich ist Karma Choezom das! Vorbild“, sagt sie und lacht ihr lautes Lachen.

Gemeinsam mit den Gästen aus Tübingen pendeln die beiden Frauen zwischen Krankenhaus und Kailash Bodhi School. Pendeln in drei Sprachen, der Amtssprache Nepalesisch, der Muttersprache Tibetisch, und Englisch, der Lingua Franca. Brücke zwischen ihnen und ihren europäischen Gästen.

Sie sitzen in Domas kleinem Appartement. Sitzen auf dicken Teppichen, essen selbstgemachte Teigtaschen, die besten Momos der Reise. Singen Songs von 1974 AD, Nepals legendärer Rockband. Die Gründer sind Lehrer. Aus der Bluetoothbox scheppert Nepali Ho. Es ist Nacht, es ist kühl…