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Die Geschichte des Kabi Upadhaya aus dem Brahmanen-Dorf Chhipra

Kabi fliegt mit uns über Nepalgunj nach Simikot. Ernst, aufmerksam, sauber gekleidet mit neuen Schuhen und Baseballkappe. Sein Körper zeigt keine Spuren von Unterernährung mehr. Er strahlt eine ruhige Würde aus.Kaum angekommen, wird er schon vermisst. Er läuft nach Hause, kann nicht noch einen Tag warten, um uns zu begleiten. Was ist der Hintergrund dieses stillen 12jährigen aus der Klasse 4 der Kailash-Bodhi-School (KBS)?

Nach der Einweihung der ersten KBS-Zweigschule Humla in Simikot im April 2008 verbreitete sich rasch die Nachricht, dass dahinter eine große Schule mit angeschlossenem Internat in Kathmandu steht. Kabis Mutter, Witwe mit vier Kindern, wandte sich an eine in der Gegend angesehene Persönlichkeit, um mit ihm zusammen Karma Chözom, die Schulleiterin, zu bitten, ihren Sohn für immer mitzunehmen, ihn als ihren eigenen Sohn zu behalten, andernfalls würde sie ihn an irgendjemanden verkaufen, der für Lebensunterhalt, Ausbildung und Arbeit sorgt, um dann mit diesem Geld das Überleben ihrer drei anderen Kinder zu sichern.

Karma Chözom verstand die Not, nahm ihn mit und fand in der Familie Hildenbrand liebevolle Sponsoren, die ihm auch jetzt ermöglichten, seine Ferien zu Hause zu verbringen. Jedes Mal wenn Kabi während der letzten drei Jahre nach Hause kam, ängstigte sich die Mutter zutiefst, er dürfe nicht mehr zurück in die Schule.

Sie darüber zu beruhigen das auch unsere eigene Neugier, diese Lebensumstände kennen zu lernen, veranlassten Karma Chözom, ihren Mann Jamphel und mich, das Dorf Chhipra im Karnali-Tal zu besuchen. Das bedeutete Aufbruch bei Tagesbeginn um 6 Uhr, steilen Abstieg ins Tal, Flussüberquerung auf einer gottlob gesicherten Fußgängerbrücke und Ankunft im Dorf nach 3 Stunden bei mittlerweile 30 Grad Hitze Mitte Oktober.

Nachbarn breiteten auf ihrem flachen Dach eine Decke aus Ziegenhaar aus, Kabi rannte den Berg hinauf, um seine Mutter von der Feldarbeit zu holen du wir warteten inmitten des gestapelten Heus, der trocknenden Chilis und Bohnen, umringt von schmutzstarrenden, verfilzten, schweigend starrenden Kindern.

Ich habe etwas Bargeld von Freunden zu übergeben – dafür und zum Gespräch wollten wir uns nach ihrer Ankunft in ihre Behausung zurückziehen. Wie alle Bauernhäuser dieser Gegend ist das Erdgeschoss den Tieren vorbehalten, darüber wohnen die Menschen, um von der Wärme zu profitieren, darüber auf den Dächern die Stapel Heu und Feuerholz für den Winter, der in 2500 Meter Höhe sehr kalt ist. Die Bauweise ist, Trockenmauern aus Feldsteinen als Basis, darüber Balken und Holzgeflechte mit Lehm verschmiert und getüncht.

Auf die Armut, die ich hier antraf, war ich nicht gefasst. Es gab einen Stall mit der Kuh eines gestorbenen Brahmanen, die keine Milch gibt, frei weidet und deren Dung dem winzigen Chilifeld zugute kommt, von deren Verkauf die Familie lebt.  Das obere Stockwerk besteht aus zwei fensterlosen, etwa vier Quadratmeter großen Räumen, einer für die Familie, einer für den Bruder des früh verunglückten Vaters. Kabi schläft während seiner Ferien im Freien auf dem Dach.

Die Mutter verwehrt uns den Eintritt in ihren Raum, sie schämt sich. Außer einer Holzkiste – nichts. Im anderen Raum auch nichts, kein Möbelstück, kein Bett, Lehmboden, ein paar Kleider an Nägeln an der Wand, ein bisschen Aluminiumgeschirr auf dem Boden und zwei Kürbisse, kein Licht. Andere Häuser ziert eine Solarzelle, genug zur Speisung einer Glühbirne. Kabi bringt uns eine zerschlissene Wolldecke, auf der wir Platz nehmen. Die Tür muss aufbleiben, sonst sehen wir uns nicht.

Während Karma Chözom von der Schule berichtet, seinen guten Leistungen und der Mutter beruhigend versichern kann, dass seine Schullaufbahn gesichert ist und es nur an ihm liegt, was er daraus macht, fängt Kabi an, still in sich hinein zu weinen. Als ich der Mutter das Geld gebe, die 70 Euro, die das Überleben des nächsten Winters sichern, weint auch sie und fasst wieder und wieder nach meinem Kinn  Ausdruck höchsten Respekts, Verehrung und Dankbarkeit. Die Einladung zum Mittagessen schlagen wir schnell aus und machen uns auf den Rückweg. Soviel Gefühl kann ich schwer aushalten.

5 Stunden brauchen wir für den Heimweg, der Anstieg ist sehr steil, der Atem kurz, der Herzschlag schnell, die Sprache hat es mir verschlagen.

Am Tag darauf erscheint die Mutter mit der Nachbarin, um den inzwischen angekommenen Sponsoren zu danken. Am Tag darauf erscheint Kabi mit dem Nachbarssohn, der zu Karma Chözom sagt: „Bitte nimm mich mit. Ich möchte in die Schule gehen. Vergiss mich nicht.“ Karma Chözom schreibt seine Personalien auf.

Am Tag darauf spricht sie ein Vater an aus der Kaste der Dalit, der Unberührbaren.

Die KBS in Kathmandu bietet eine echte Chance. Es gibt auch Betrüger, die in den armen Bergregionen ihr Unwesen treiben, Kinder mitnehmen, um sie dann schlecht zu behandeln, sie als Bettler, für Kinderarbeit, für Prostitution oder Organtransplantation zu missbrauchen.

Es gibt so viel zu tun…